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25.2.1999

 

 

1999/1
   

Interview mit Rainer Arnold

Bilanz 100 Tage rot-grüne Bundesregierung

Rainer Arnold

 

   
   
Mit der polemischen Unterschriftenaktion hat die CDU die Landtagswahl in Hessen gewonnen. Was hältst Du von der doppelten Staatsbürgerschaft?

Wichtig ist, den vielen ausländischen Mitbürger die Einbürgerung zu erleichtern. Die Duldung der doppelten Staatsbürgerschaft ist dabei nicht das eigentliche Ziel sondern wir nehmen sie hin, weil es Menschen helfen kann, die Brücke in ihre alte Heimat nicht völlig abzuschneiden. Es ist schon ziemlich schäbig, daß die CDU falsche Behauptungen aufstellt; beispielsweise es kämen 600.000 weitere türkische Familienangehörige oder mit der PKK würden weitere Kriminelle kommen – dies ist alles falsch. Unser Gesetzesentwurf sagt sehr klar: Diejenigen die acht Jahre hier ihren Aufenthalt haben, nicht straffällig geworden sind, für ihren Unterhalt sorgen und sich zu unserer Verfassung bekennen, würden wir gerne integrieren. Die doppelte Staatsbürgerschaft ist dabei ein Hilfsmittel nicht mehr und nicht weniger.

Wie geht es jetzt nach der Hessenwahl weiter mit der Änderung des Staatsbürgerschaftsrecht?

Wir müssen jetzt Kompromisse suchen. Wir haben keine eindeutige Mehrheit mehr im Bundesrat, die CDU allerdings auch nicht. Es wäre gut, wenn die Frage der Integration von einem breiten Konsens in der Gesellschaft getragen wird. Ich würde es sehr begrüßen, mit der FDP eine Gesetzesvorlage zu erarbeiten, welche die doppelte Staatsbürgerschaft entweder für junge Leute hinnimmt oder nur für eine Übergangszeit von 10 bis 20 Jahren gelten könnte.

Wie siehst du als Mitglied des Verteidigungsausschusses den Einsatz deutscher Soldaten im Kosovo?

Man kann auch als Pazifist im Verteidigungsausschuß mitarbeiten. Pazifismus heißt für mich aber auch: Dort wo Menschen in Not sind, mit militärischer Gewalt bedroht werden, müssen wir auch bereit sein, uns vor diese bedrohten Menschen zu stellen. Darum geht’s im Augenblick im Kosovo. Derzeit wird in Paris mit den Konfliktparteien verhandelt. Und wir hoffen, daß es zu einer einvernehmlichen Regelung kommt. Nun hat die Erfahrung auf dem Balkan allerdings gezeigt: Verträge werden nicht eingehalten. Deshalb müssen wir auch mit militärischer Macht dafür sorgen, daß die Verträge durchgesetzt werden. Die Bundesregierung wird ihren Beitrag zu dieser europäischen Aufgabe leisten.

Wie fühlt man sich in der großen Politik im Bundestag?

Ich fühle mich ebenso wie in der Kommunalpolitik, denn Politik ist auf allen Ebenen gleich wichtig. Besonders spannend ist für mich, in Bonn neue Erfahrungen sammeln und Neues erlernen zu können. Ich freue mich mit vielen, die mir geholfen haben, daß es jetzt im dritten Anlauf geklappt hat. Ich freue mich auf die Arbeit, die auch eine große Verpflichtung ist, für die Menschen hier im Wahlkreis etwas zu bewirken.

Muß man in der Politik klein anfangen, um ganz nach oben zu kommen?

Ich bin wie viele andere Politiker auch den mühsamen Weg gegangen: Vom Ortsverein über den Gemeinderat, Kreistag und das Regionalparlament bis jetzt nach 27 Jahren Engagement in den Bundestag. Ich halte es aber für einen guten Weg, wenn Leute, die Politik auf kommunaler Ebene erlernt haben, dies mit nach Bonn nehmen. Politiker verlieren so nicht ohne weiteres den Kontakt zu den Menschen. Natürlich tut der Politik ein Quereinsteiger gelegentlich gut. Das Verhältnis muß stimmen.

Die Bonner Politik nimmt Dich sicher sehr in Anspruch, bist du trotzdem noch für Deine WählerInnnen da, wie bis t Du zu erreichen?

Die Hauptarbeit wird tatsächlich hier im Wahlkreis geleistet. Wir haben ein Wahlkreisbüro in Nürtingen eingerichtet. Ich bin im Wechsel je eine Woche dort und eine Woche in Bonn zu erreichen.

Für Deine Familie ist Dein Erfolg sicher ein großer Einschnitt. Wie geht sie damit um?

Natürlich haben sie sich zunächst über meine Wahl gefreut. Andererseits sind die häufigen Aufenthalte in Bonn schon ein Einschnitt. Nach so vielen Jahren ehrenamtlichem Engagement, ist es meine Familie aber auch gewohnt, daß man viele Abende nicht zu Hausen sein kann.

Als junge Menschen beschäftigt uns besonders die Jugendarbeitslosigkeit. Was unternimmt die neue Regierung?

Die Bundesregierung hat hier Wort gehalten. Wir haben ein Sofortprogramm aufgelegt, das dafür sorgen wird, 100.000 arbeitslosen Jugendlichen Weiterbildung, Ausbildung oder einen Job zu ermöglichen. Im Landkreis Esslingen werden 7 Mio Mark mehr zur Verfügung stehen, um Jugendlichen wieder eine Perspektive zu geben. Jungen Menschen Chancen zu bieten, ist für mich eine zentrale Aufgabe. Jugendliche, die einige Jahre keinen Job haben, können auf lange Sicht für den Arbeitsmarkt verloren gehen. Manche müssen auch wieder lernen, zu lernen und zu arbeiten. Dazu kann das Programm sehr viel beisteuern.

Gibt es für die Verteilung der Fördergelder feste Richtlinien von der Bundesregierung?

Es ist zum ersten Mal ein Programm, das nicht überreguliert ist, daß heißt die Arbeitsämter können aus einem Baukasten der Möglichkeiten Projekte heraussuchen, die für ihre Region am besten passen. Es wird bereits von den Ämtern mit großem Engagement umgesetzt, weil sie die Chance haben, ohne bürokratische Hemmnisse zu helfen.

Finanzminister Lafontaine sprach immer wieder von der Nachfragepolitik. Wo sind da die Impulse der Bundesregierung?

Oskar Lafontaine sagt, wir brauchen beides: Wir brauchen ein nachfrage- und eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik. Tarifpolitik kann die Nachfrageseite allein überhaupt nicht regeln, wenn die Menschen auch weiterhin Netto zu wenig in der Tasche haben. Deshalb setzten wir in drei Etappen eine Steuerreform um, damit Durchschnittsverdiener mehr Geld am Monatsende übrig haben. Der Einstieg in die ökologische Steuerreform wird für eine Senkung der Lohnnebenkosten sorgen. Mit den Ökosteuereinnahmen werden nicht etwa Haushaltslöcher gestopft, wie es Kohl getan hat. Die Mehreinnahmen werden zu 100 Prozent für die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge eingesetzt.

Die SPD will aus der Atomenergie aussteigen. Wann gehen denn nun die letzten Atommeiler vom Netz?

Wir werden Zeit brauchen um Zwischenlager zu bauen. Wir wollen einen Ausstieg ohne Regressansprüche an den Staat. Dies kann nur in Kooperation mit den Kraftwerksbetreibern funktionieren. Ein Kernkraftwerk wird nach etwa 20 Jahren unwirtschaftlich, nämlich dann wenn für hunderte Millionen Mark Nachrüstungen vorgenommen werden müssen. Das wäre für mich ein sinnvoller Zeitpunkt, die Kraftwerke abzuschalten. Unser Hebel muß die Wirtschaftlichkeit sein. Atomstrom ist in Wahrheit kein billiger Strom, wenn wir ehrlich rechnen. Strom aus Gas- und Dampf-Kraftwerken ist bereits wesentlich kostengünstiger. Da müssen wir ansetzen.

Es geht aber nicht so sehr um einen Ausstieg sondern um einen Einstieg in eine neue Art der Energiewirtschaft. Wir brauchen viel mehr Solaranlagen; auch im Kreis Esslingen. Das 100.000 Dächer Programm setzt in unserem Landkreis Investionen von ca. 10 Mio Mark frei. Das hilft besonders dem örtlichem Handwerk. Wir brauchen eine stärkere Förderung von regenerativen Energien und wir müssen dezentrale Versorgungsstrukturen aufbauen. Dies wird, ebenso wie der wichtigste Beitrag - das Energiesparen - einige Jahre in Anspruch nehmen.

Was kann die Bundesregierung gegen Beschlüsse zur Bildungsreform tun, über die ja die Lände entscheiden?

Für eine seriöse Bildungspolitik müssen die Mittel für Bildung, Weiterbildung und Forschung erhöht werden. Trotz knapper Haushaltsmittel ist es uns gelungen bereits in diesem Jahr diesen Etat zu erhöhen. Die CDU hat die Bildungs- und Forschungsausgaben in den vergangenen Jahren mehr und mehr zusammengestrichen. Wir werden ein Gesetz erlassen, daß den Ländern untersagt, Studiengebühren zu erheben.

Was macht Rainer Arnold an Silvester 2000?

Ich werde Silvester zusammen mit Freunden feiern, wie in den vergangenen 48 Jahren auch.

Welchen Hobbys gehst Du noch nach?

Mir bleibt leider wenig Zeit. Gerne würde ich Gitarre spielen, mich auch wieder mal ans Schlagzeug setzen. Das kommt eindeutig zu kurz. Im Winter fahre ich ein bißchen Ski, und im Sommer Fahrrad. Politik ist in der Tat kein Job, den man abends abschalten kann. Sondern verlangt ein Engagement von 60 bis 70 Stunden in der Woche. Ich klage aber nicht darüber, ich habe es so gewollt.

(Das Interview führten An Vu Ngoc und Daniela Wolff von den Filderstädter Jusos)

   
   
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